Welche sind die zehn zentralen Rollen eines ICT Managers / einer ICT Managerin nach Mintzberg?

12. Mai 2023 Von Stefan Ruchti

1. Einleitung:

Friedmann legt 1936 in seinen Schriften „La crise du progrès. Esquisse d’histoire des idées.“ (1895–1935) dar, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die zweite industrielle Revolution beginnt (S. 56). Huggett beschreibt 1974, dass der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft, die Produktionsverlagerung von Gütern in Fabriken, der Umzug der Bevölkerung vom Land in die Stadt (Verstädterung) und zuletzt die Zunahme der Bürokratisierung einen gesellschaftlichen Wandel auslösten (S. 128). Aus der Zunahme der Bürokratisierung und der Arbeitsteilung kann die These aufgestellt werden, dass sich erste Anzeichen von Tätigkeiten entwickeln, die eine Rolle im Sinne von Management bezeichnen würden. Erste Aufzeichnungen der expliziten Beschreibung von „Management als Funktion“ lassen sich erstmals bei Frederick Winslow Taylor 1911 finden, konkret im Zusammenhang mit dem Prinzip der Arbeitsteilung der Trennung von geistigen von körperlichen Tätigkeiten (S. 38). Ein Zeitsprung in die 60er Jahre zu dem kanadischen Professor für Betriebswirtschaftslehre und Management Henry Mintzberg: Dieser erkannte während seiner Studienzeit, dass Wissenslücken bestehen, was das „Wesen des Managers“ im Grunde beinhaltet und was ein Manager für Tätigkeiten in seiner täglichen Arbeit ausführt. Mintzberg ging diesen unbeantwor-teten Fragen 1968 an der Sloan School of Management, M.I.T. auf den Grund und präsentierte seine These 1968 in seiner Doktorarbeit: „The Manager at Work – Determining his Activities, Roles and Programs by Structured Observation“. Eine erste These zu dem Thema, was ein Manager bei seiner Arbeit macht, war entstanden. Mintzberg ließ die These nicht auf sich beru-hen, überarbeitete diese Schriften und untermauerte sie mit empirisch erhobenen Daten aus dem Praxisbezug, anhand von Begleitung, Beobachtung und Analyse von 29 Chief Executive Officers (CEO) bei der Ausübung ihrer Tätigkeit in der Funktion als Manager. Diese neuen Erkenntnisse hat Mintzberg letztlich 1973 in seinem Buch „The nature of managerial work“ im Kapitel 4 „The Manager’s Working Roles als die 10 zentralen Rollen eines Managers“ festgehalten und veröffentlicht (Mintzberg, 1973, S. 54–99).
Mintzberg ist ein führender Wissenschaftler auf den Gebieten der Strategiebildung, Führung, Organisationstheorie und der Managementpraktiken. Einige seiner bekanntesten Werke sind „The Nature of Managerial Work“ (1973), „The Structuring of Organizations“ (1979) und „Strategy Safari“ (1998). Mintzberg hat auch zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen für seine Arbeit erhalten. Er ist Fellow der Royal Society of Canada, der Academy of Management und der British Academy. Dieser Beitrag befasst sich mit den von Mintzberg 1973. definierten zehn Rollen eines Managers, reflektiert und analysiert die beruflichen Tätigkeiten des Autors: Stefan Ruchti diesers Beitrags in seiner Rolle als Senior ICT-Projektmanager und untersucht, wie weit sich dieser Praxisbezug in das Managementrollenkonzept von Mintzberg einordnen lässt.

1.1 Zielsetzung und Fragestellung:

Dieser Beitrag orientiert sich an dem Ziel der Aufgabenstellung: Welche sind die zehn zentralen Rollen eines Managers / einer Managerin nach Mintzberg? Wie lässt sich die berufliche Tätigkeit des Autors dieser Hausarbeit in eine der beschriebenen Managementrollen von Mintzberg einordnen?
Aus genannter Aufgabenstellung werden im Kontext dieser Arbeit folgende Fragen beantwortet:

  • Welche sind die zehn zentralen Rollen des Rollenkonzepts von Mintzberg?
  • Wie lassen sich Tätigkeiten aus meiner persönlichen beruflichen Funktion als Senior ICT-Projektmanager und Rollentätigkeiten aus diesem Berufsumfeld in die beschriebenen Managementrollen nach Mintzberg einordnen?
  • Welche sind die zehn zentralen Rollen des Rollenkonzepts von Mintzberg?
  • Wie lassen sich Tätigkeiten aus meiner persönlichen beruflichen Funktion als Senior ICT-Projektmanager und Rollentätigkeiten aus diesem Berufsumfeld in die beschriebenen Managementrollen nach Mintzberg einordnen?

1.2 Inhalt:

  • Theorieteil – Kapitel 2: Identifizieren und beschreiben der zehn zentralen Rollen eines Managers nach Mintzberg.
  • Analyse und Reflexion: – Kapitel 3: Analyse, Reflexion und Thesis über die Einordnung von ausgewählten Tätigkeiten des Autors: Stefan Ruchti diesem Beitrag, in seiner beruflichen Funktion als ICT-Projektmanager, in dem im Kapitel 2 beschriebenen Rollenkonzept eines Managers nach Mintzberg.
  • Zusammenfassung: – Kapitel 4: Fazit und Resümee der wichtigsten Punkte und Ergebnisse.

2. Die Rollen eines Managers nach Mintzberg

In den folgenden Kapiteln wird das Management-Rollenkonzept von Mintzberg beschrieben. Mintzberg untersucht und beschreibt in seiner Studie „The Nature of Managerial Work“ die Tätigkeit von Managern anhand von Erkenntnissen empirischer Studien, die international auf vielen Führungsebenen durchgeführt wurden. Die Studie fasst einige aktuelle Denkrichtun-gen zum Job des Managers zusammen und analysiert die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Rollen und spezifischen Arbeitstätigkeiten von Managern. Das Ergebnis der Studie ist eine Typologie, die Mintzberg in Kapitel 4 „The Manager’s Working Roles als die zehn zentralen Rollen eines Managers“ beschreibt (Mintzberg, 1973, S. 54–99).
Die oben genannte Studie überarbeitete Mintzberg nochmals und hinterlegte diese mit empi-rischen Daten in der Begleitung und Beobachtung von 29 Chief Executive Officers bei der Aus-übung ihrer Tätigkeit in der Funktion als Manager und beschrieb die Studie in seinem Buch „Managen“, das 2009 veröffentlicht wurde.

2.1 Das Rollenkonzept nach Mintzberg (1973)

Mintzberg unterteilt die Manager-Rollen in der Studie „The Nature of Managerial Work“ in drei Bereiche: Interpersonelle Rollen, Informations- und Entscheidungsrollen. Zehn Rollen werden unterschieden und in folgender Tabelle werden diese aufgeführt und kurz beschrieben (-> siehe Tabelle 1: Rollen nach Mintzberg (1973)).

Tabelle 1: Rollen nach Mintzberg 1973 (Quelle: The Nature of Managerial Work, 1973, S. 92–93).

1.1.1. Interpersonelle Rollen

In dem Bereich der Interpersonellen Rollen werden die Rollen zusammengefasst, die der Manager zum Bilden der Gruppenidentität ausführen muss. Der Manager vertritt verschiedene Gruppen intern im eigenen Unternehmen und nach außen.

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Intern muss der Manager die Führungsfunktionen erfüllen und außerdem den Gruppenzu-sammenhalt sicherstellen. Dies kann auf unterschiedliche Weise getan werden, indem der Manager in der Rolle einer Galionsfigur, eines Führers oder eines Vernetzers auftritt (Rade-macher, 2014, S. 205).

1.1.1.1. Figurehead (Galionsfigur)

Im Sinne einer Galionsfigur, eine meist aus Holz geschnitzte Figur, die auf Schiffen, vornehm-lich Segelschiffen, unter dem Bugspriet angebracht wird, leistet der Manager in dieser Rolle seine Dienste. Bei Georg Schreyögg und Jochen Koch wird der Kern dieser Rolle als die Tätig-keit des Managers, der die Unternehmung oder die Abteilung darstellt und nach innen und nach außen vertritt, beschrieben. Der Manager würde als Symbolfigur fungieren; seine An-wesenheit oder seine Unterschrift als solche sei hier von Bedeutung (2014, S. 17). Im Ver-gleich der Rollenbeschreibung von Rademacher mit Schreyögg und Koch ist ein ähnliches Verständnis der Rolle auszumachen. Rademacher beschreibt die Rolle des Managers als sym-bolischen Kopf des Teams, der Abteilung oder der Organisation. Sie führt im weiteren Ver-lauf folgende Praxisbeispiele an: Eröffnungsreden, Anwesenheit des Managers bei wichtigen Events (2014, S. 205). Nach Auffassung des Autors Wiswede und nach seinem Rollenver-ständnis der Galionsfigur benennt er diese Rolle als Repräsentant und vertritt dabei die Posi-tion, dass der Manager nach innen und außen als symbolischer Kopf fungiert und somit Re-präsentationsroutinen gesetzlicher oder sozialter Art erfüllt (1995, S. 235).

1.1.1.2. Leader (Vorgesetzter)

Die Führung der Mitarbeiter und deren Motivation ist maßgebend bei der Ausführung dieser Rolle. Als Beispiel nennen Georg Schreyögg und Jochen Koch: „Eine Managerin diskutiert mit ihrer Gruppe die Umsätze des letzten Monats“ (2014, S. 17). Wiswede komplementiert dies und schreibt, dass die Stellenbesetzung und Personalentwicklung bei dieser Rolle ebenso im Vordergrund stehen wie die Führung und Motivation der Mitarbeiter (1995, S. 235). Rade-macher versteht die Rollenbeschreibung aus der englischen Studie von Mintzberg „The Na-ture of Managerial Work“ wie folgt: «Der Manager motiviert und koordiniert die Aktivitäten seiner Mitarbeiter. Er leitet Mitarbeiter an, leitet die Besetzung neuer Stellen und beteiligt sich an der Personalentwicklung» (2014, S. 205).

1.1.1.3. Liaison (Vernetzer)

Bei den Tätigkeiten in der Rolle als Vernetzer baut der Manager interne und externe Kon-takte auf. Er identifiziert und vernetzt sich mit internen und externen Stakeholdern. Dazu werden formelle und informelle Wege der Kommunikation angewendet (Rademacher 2014, S. 205). Schreyögg und Koch führen für das Verständnis dieser Rolle folgendes Praxisbeispiel an: „Eine Managerin tritt einem Erfahrungskreis der Industrie- und Handelskammer bei“ (2014, S. 18).

1.1.2. Informationsrollen

Nach der Meinung von Radmacher werden mit den Informationsrollen die Rollen zusam-mengefasst, die sich mit dem Sammeln, Bewerten, Interpretieren und Verteilen von Informa-tionen der Managertätigkeit beschäftigen (2014, S. 205).

Mintzberg, der Verfasser von „The nature of managerial work“, vertritt die Position: „A sec-ond set of managerial activities in the study of chief executives relates to the receiving and transmitting of information. Much of their mail was strictly informational in nature reference data, reports, news of events, ideas, and other items“ (1973, S. 65). In diesem Kapitel wer-den Informations- und Kommunikationsfähigkeiten beschrieben sowie wird aufgezeigt, wie der Manager gesammelte Informationen zielgerichtet adressiert und auf Wichtigkeit filtert. Die Informationen aus interner oder externer Quelle werden direkt an die richtigen Mitar-beiter oder an andere wichtige Stakeholder außerhalb der eigenen Organisation weiterleitet.

1.1.2.1. Monitor (Radarschirm)

Der Manager fungiert in dieser Rolle als Radar; er beschäftigt sich mit dem Entgegennehmen von internen und externen Informationen. Als These kann hier angenommen werden, dass „Umfeldanalysen oder wertvolle neue Erkenntnisse, Daten für eine SWOT-Analyse und ein ,Benchmark‘“ verwendet werden können, mit dem Zweck, die interne Unternehmensent-wicklung und Markttendenzen abzuleiten und das Mitbewerberverhalten zu beobachten. Schreyögg und Koch sprechen von „kontinuierlicher Sammlung und Aufnahme von Informa-tionen über interne und externe Entwicklungen, insbesondere über das selbstaufgebaute ,Netzwerk‘ (Beispiel: Der Manager erfährt von einem Reisenden, dass der Hauptkonkurrent seine Gussteile demnächst zu einem Schleuderpreis aus Südkorea beziehen wird)“ (2014, S. 18).

1.1.2.2. Disseminator (Sender)

Mintzberg, der Verfasser der Studie „The Managers Working Roles“, beschreibt diese Rolle als eine Tätigkeit, in welcher der Manager als ein «Multiplikator» auftritt. Der Manager kommt oft in den Besitz besonderer Informationen. Diese Informationen kommuniziert der Manager adressatengerecht und multipliziert diese quasi in die eigene interne Organisation. Bei den Informationen kann zwischen Fakten- und Wertinformationen unterschieden wer-den. Sachinformationen müssten aber erst auf ihre Gültigkeit geprüft und als richtig oder falsch deklariert werden. Auf der Grundlage der formalen Autorität des Managers erhält die-ser viele sachliche Informationen, die schnell an die entsprechenden Mitarbeiter, «Unterge-benen», weitergeleitet werden können (1973 S. 71). Schreyögg und Koch beschreiben in ih-rem Buch „Grundlagen des Managements“: „Kernaktivitäten sind Übermittlung und Interpre-tation relevanter Informationen und handlungsleitender Werte an die Mitarbeiter und an-dere Organisationsmitglieder (Beispiel: Der Manager besucht einen wichtigen Lieferanten, spricht mit ihm über die Marktentwicklung und berichtet seinen Mitarbeitern seine Eindrü-cke)“ (2014, S. 18). Wiswede ist der Auffassung, dass die Rolle auch als ein Informationsver-teiler betitelt werden könnte. Die Rolle beschreibe die Weitergabe von Informationen inner-halb und von außerhalb des Unternehmens an wichtige Stakeholder und Organisationseinheiten. Bei diesen Informationen handle es sich um Fakten wie auch um Spekulationen (Wiswede 1995, S. 236).

1.1.2.3. Spokesperson (Sprecher)

Schreyögg und Jochen Koch beschreiben diese Rolle so, dass der Manager bei ihrer Aus-übung als eine Art Sprachrohr nach außen fungiert. Er gibt somit Informationen über ge-plante Vorhaben, die nötigen Maßnahmen oder die erreichten Ergebnisse der eigenen Orga-nisation an Externe weiter. Dazu gehört der Informationsfluss an Gruppen im Besonderen, die das Unternehmen nach außen vertreten (Beispiel: Die Managerin einer IT-Firma nimmt an einer Fernsehdiskussion über die sozialen Folgen moderner Informationstechnologien teil und verteidigt die Position ihres Unternehmens) (2014, S. 18).

1.1.3. Entscheidungsrollen

Radmacher ist der Auffassung, dass sich in diesem Kapitel Rollen zusammenfassen, die sich als Entscheidungsrollen betiteln lassen.

Im Kernpunkt geht es bei diesen Rollen um Machtausübung in Prozessen der Entscheidungs-findung. In der oben dargestellten Abbildung 3 (Entscheidungsrolle) gibt es eine Auflistung der einzelnen Rollen (2014, S. 206).

1.1.3.1. Entrepreneur (Innovator):

Die Hauptaktivitäten des Innovators sind die Initiierung und die Realisierung von Wandel in Organisationen (Changemanagement). Bei dieser Managertätigkeit geht es um ein Identifi-zieren von Problemen und Erkennen von Chancen, die für das Unternehmen einen Nutzen bieten können (Beispiel: Der Manager richtet eine Arbeitsgruppe ein, um die Erfindung eines Mitarbeiters aus der Grundlagenforschung in eine neue Produktidee umzusetzen) (Schreyögg & Koch, 2014, S. 18). Rademacher benennt diese Rolle als Unternehmer („Entre-preneuer“) und versteht sie wie folgt: „Der Manager agiert unternehmerisch und sucht innerhalb der Organisation und dem unternehmerischen Umfeld nach Verbesserungschan-cen und Innovationsfeldern“ (2014, S. 206).

1.1.3.2. Disturbance Handler (Problemlöser)

Wiswede betitelt diese Rolle als den Krisenmanager. Er meint damit, dass der Manager in dieser Rolle Aufgaben der Handhabung von unerwarteten und wichtigen Störungen des be-trieblichen Leistungsprozesses erfassen muss (1995, S. 239). Schreyögg & Koch sind der Auf-fassung, dass […] diese Rolle sich auf Aktivitäten fokussiert, die der Schlichtung von Konflik-ten und der Beseitigung unerwarteter Probleme und Störungen dienlich sei (Beispiel: Die Managerin stoppt den Bau einer Niederlassung im Fernen Osten wegen eines dramatischen Preisverfalls auf dem betreffenden Produktmarkt […]) (Schreyögg & Koch, 2014, S. 18).

1.1.3.3. Resource Allocator (Ressourcenzuteiler)

Radmacher ist der Ansicht, dass in dieser Rolle des Allocator (Ressourcenzuteilers) der Ma-nager über die Vergabe der vorhandenen Ressourcen bestimmen würde und somit den Überblick über die Einzelentscheidungen der Ressourcenzuordnung behält (2014, S. 206). Von Schreyögg und Koch wird in diesem Zusammenhang von drei Zuteilungsbereichen gesprochen:

  • die Verteilung von eigener Zeit und damit die Bestimmung dessen, was wichtig und unwichtig ist
  • die Verteilung von Aufgaben und generellen Kompetenzen (Organisation)
  • die selektive Autorisierung von Handlungsvorschlägen und damit zugleich die Zutei-lung finanzieller Ressourcen

(Beispiel: Eine Fertigungsleiterin legt einen Plan für den Kauf einer neuen Presse vor, der Spartenleiter lehnt ab, weil der Erwerb eines Trockenofens wichtiger erscheint) (2014, S. 19).

1.1.3.4. Negotiator (Verhandlungsführer)

In dieser Rolle führt der Manager wichtige Verhandlungen, in denen er das eigene Unterneh-men oder eine Organisationseinheit im eigenen Unternehmen vertritt. Als Beispiel wird auf-geführt: „Die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens ist geplant, die Bedingungen sind von drei beauftragten Managern im Detail mit den Verhandlungsführern des anderen Unternehmens auszuhandeln“ (Schreyögg & Koch, 2014, S. 19).

3. Analyse und Reflexion

In diesem Kapitel werden vier ausgewählte Tätigkeiten aus dem beruflichen Umfeld des Au-tors dieser Hausarbeit in seiner Rolle als ICT-Senior-Projektmanager reflektiert und analysiert:
Aus zeitlichen Gründen und aus Gründen des Umfangs dieser Arbeit beschränkt sich die Ana-lyse auf folgende Tätigkeiten/Rollen:

  • Führen des Projekts zur Erreichung der Projektergebnisse und der Vorgehensziele (Zeit, Kosten, Qualität) des Projekts
  • Wirtschaftlicher und nachhaltiger Einsatz der Ressourcen
  • Führen des Berichtswesens und umfassende, regelmäßige und situative Information der Projektsteuerung, damit sie ihre Steuerungs- und Entscheidungsaufgaben wahrnehmen kann
  • Führen des Stakeholdermanagements und Sicherstellen des Einbezugs der berechtig-ten Anspruchsgruppen

Diese oben aufgeführten Rollen werden von dem Autor dieser Arbeit in seiner täglichen Ar-beit umgesetzt. Beschrieben werden die Rollen in Hermes, einer Schweizer Projektmanage-ment-Methode, die vor allem von Gemeinde, Kanton und dem Bund der Schweizer Eidge-nossenschaft angewendet werden (Schweizerische Bundesverwaltung: https://www.her-mes.admin.ch/de/projektmanagement/verstehen/rollen/projektleiter.html, abgefragt am 10.04.2023).
Ziel dieses Kapitels ist es, zu prüfen, inwieweit sich die oben genannten Tätigkeiten in eine der beschriebenen Management-Rollen gemäß Mintzberg einordnen lassen, um eine Antwort auf die Hauptfrage dieser Hausarbeit zu geben: Wie lassen sich Tätigkeiten aus meiner persönli-chen beruflichen Funktion als ICT-Projektmanager und Rollentätigkeiten aus diesem Berufs-umfeld in die beschriebenen Managementrollen nach Mintzberg einordnen?

3.1 Führen des Projekts zur Erreichung der Projektergebnisse und der Vorgehensziele (Zeit, Kosten, Qualität) des Projekts

Zu dieser Aufgabe gehört während der gesamten Projektdauer das Führen und Beauftragen der Projektbeteiligten mit dem Ziel, dass diese ihre Aufgaben erfüllen können. Dabei wird der Projektfortschritt laufend überprüft und die Planung wird aktualisiert. Als Vorgesetzter und oberste Instanz des Projektteams muss hier der Projektmanager die Aufgabe wahrneh-men, die einzelnen Teammitglieder zu einem ganzen „Gruppenspirit“ zu begeistern zu moti-vieren, um gemeinsam im Team die definierten Projektziele zu erreichen. Dies kann bei-spielsweise ansatzweise als Erstes mit dem gemeinsamen Erarbeiten eines gemeinsamen Zielbildes (Projektscope) erreicht werden. Es muss für alle klar werden: „Was wollen wir ge-meinsam erreichen?“ Ideal fordert man von jedem Teammitglied das nötige Commitment ein, damit es sich diesem Zielbild damit verpflichtet.
Wenn in Projekten die klassische Wasserfallmethode angewendet wird, der Projektscope in einem Projektstrukturplan (PSP) definiert und dieser in der kleinsten Einheit in sogenannte Arbeitspakete gegliedert wird, enthalten die einzelnen Arbeitspakete die Informationen: Was ist bis wann, in welcher Qualität zu tun und wer ist für die Erfüllung verantwortlich? Die Aufgabe des Projektmanagers, in seiner Funktion als Leader (Vorgesetzter), besteht darin, den Fortschritt dieser Arbeitspakete zusammen mit dem Team prüfen (Fortschrittskontrolle).

Bei Abweichungen müssen die nötigen Maßnahmen eingeleitet werden mit dem stetigen Fo-kus, die Projektziele in der geplanten Zeit und Qualität und dem geplanten Budget erreichen zu können.
Anhand der oben beschriebenen Tätigkeiten und Analysen können starke Tendenzen abge-leitet werden, aus denen sich eine Schnittmenge mit der Rolle des Leaders (Vorgesetzten) im Rollenkonzept von Mintzberg herleiten lässt, weil in dieser Rolle des Leaders von Führung der Mitarbeiter und deren Motivation gesprochen wird (→ siehe Kapitel: 1.1.1.1.2 Leader, Vorgesetzter).

Im Weiteren kann eine weitere Kongruenz abgeleitet werden – dort, wo der Projektmanager in der Rolle als „Enabler“ operiert. In Situationen, in denen dem Projektteam Hindernisse in den Weg gestellt werden, können diese das Team hindern, seine Aufgaben in der nötigen Zeit und Qualität auszuführen. Der Projektmanager ist in seiner Rolle gefordert, diese Hin-dernisse aus dem Weg zu räumen, damit das Team und letztlich das Projekt erfolgreich sein können.
Im Vergleich der Rolle als Projektmanager vs. der Rolle von Mintzberg als Disturbance Hand-ler (Problemlöser) ist hier festzuhalten, dass der Problemlöser wie der Projektmanager mit verschiedenen unerwarteten und wichtigen Störungen im Laufe der Zeit konfrontiert wer-den, die ein Risiko für den Projekterfolg oder den laufenden Betrieb darstellen. Die Rollen müssen also bestrebt sein, im Sinne des Konfliktmanagements diese Störungen und Hindernisse zu schlichten oder zu beseitigen (-> siehe Kapitel: 1.1.3.2 Disturbance Handler, Problemlöser).

3.2 Wirtschaftlicher und nachhaltiger Einsatz der Ressourcen

Als Projektmanager ist man vom Auftraggeber mit der Verantwortung beauftragt, die einge-setzten Ressourcen wirtschaftlich und nachhaltig einzusetzen. Dies bedeutet eine Sicherstel-lung für das Projekt von internen Ressourcen (Personal mit den nötigen Fähigkeiten, Arbeitsmitteln und Tools und dem nötigen Material) der eigenen Organisation. Doch nicht immer stehen sofort das benötigte Wissen oder die Fähigkeiten für eine erfolgreiche Durchführung eines Projekts organisationsintern bereit. Entweder müssen interne Mitarbeiter zuerst befä-higt und geschult werden oder es muss auf externes Personal zugegriffen werden. Der Pro-jektmanager ist also gefordert, zusammen mit dem Projektkernteam, den nötigen Aufwand für die Erledigung der Aufgaben zu schätzen und die nötige Menge an Arbeitskapazität und Mitarbeiter-Skills für das Projekt zu identifizieren. Dazu müssen Abstimmungen und Ver-handlungen mit den Linienvorgesetzten und den Ressourcenverantwortlichen erfolgen, mit dem Ziel, die nötigen Human Resources und Material etc. für das Projekt zu sichern.
Die oben genannte Tätigkeit kann mit der Rolle von Mintzberg des Resource Allocator (Res-sourcenzuteilers) verglichen und in diese eingeordnet werden. Im Speziellen, wo es um die Verteilung der Aufgaben und die generellen Kompetenzen der Projektorganisation und der Beschaffung und Sicherstellung der nötigen Ressourcen geht, bedarf es an Manpower für das Projekt. Im Weiteren lässt sich eine weitere Eingliederung in die Rolle Negotiator (Ver-handlungsführer) ausmachen. Nach der Definition von Mintzberg und der oben beschriebenen Tätigkeit als Projektmanager muss dieser seine Verantwortung wahrnehmen, wo es um Abtimmungen und Verhandlungen in der Sache von Sicherstellung von Verfügbarkeiten der internen Projektressourcen mit den Linienvorgesetzten und um die Beschaffung von exter-nem Personal geht. Somit kann an dieser Stelle eine Kongruenz mit der Rolle als Verhandlungsführer identifiziert und die beschriebene Tätigkeit des Projektmanagers ebenso in diese Managementrolle eingeordnet werden.

3.3 Führen des Berichtswesens und umfassende, regelmäßige und situative Informa-tion der Projektsteuerung, damit sie ihre Steuerungs- und Entscheidungsaufgaben wahrnehmen kann

Die Rolle der Projektsteuerung wird vom Auftraggeber des Projekts wahrgenommen, wobei ihn der Projektausschuss in seinen Entscheidungen unterstützt. Dies bedeutet, dass im Pro-jekt bestimmte Entscheidungen vom Auftraggeber entschieden werden müssen, sofern er diese nicht an den Projektleiter delegieren kann. Die Aufgabe des Projektleiters ist es, die Projektsteuerung (Auftraggeber) und den Projektausschuss mit der nötigen Transparenz und den nötigen Informationen zu versorgen, damit diese ihre Entscheidungsaufgaben wahrneh-men können (Beispiel: Lieferung eines monatlichen Projektberichts über den Fortschritt des Projekts oder das Halten einer Präsentation mit dem Inhalt des Projektfortschritts bei einem Projekt-Phasenübergang an einer Projektausschuss-Sitzung).
In der Reflexion und Analyse dieser Tätigkeit lässt sich erstens eine gewisse Kongruenz mit der Rolle von Mintzberg als Spokesperson (Sprecher) und zweitens in der Rolle als Disseminitor (Sender) ausmachen. Der Projektmanager ist das Sprachrohr für das ganze Vorhaben und gibt somit die nötigen Informationen an involvierte Abteilungen der eigenen Organisa-tion oder an extern beteiligte Stakeholder weiter. Somit fungiert er als Spokesperson (Spre-cher) und nimmt damit eine, wenn nicht die entscheidendste Rolle in der Projektkommuni-kation ein (→ siehe Kapitel: 1.1.2 Informationsrollen: Spokesperson (Sprecher)). Als Dissemi-nitor (Sender) tritt der Projektleiter dort auf, wenn wichtige Informationen an ihn herange-tragen werden, die er umgehend seinem Projektkernteam weiterleitet oder bei strategischen Informationen diese mit dem oberen Management bespricht, um, wenn nötig, die nö-tigen Maßnahmen einleiten zu können (-> siehe Kapitel: 1.1.2 Informationsrollen: Dissemini-tor (Sender)).

3.4 Führen des Stakeholdermanagements und Sicherstellen des Einbezugs der berech-tigten Anspruchsgruppen

Bei dieser Tätigkeit geht es um das Identifizieren und Managen der beteiligten Personen und Interessengruppen. Der Projektmanager muss die Bedürfnisse der wichtigsten Interessen-gruppen kennen, um mögliche Risiken abwenden zu können. Der Projekterfolg wird stark von den Projektbeteiligten und deren betroffenen Personen beeinflusst. Der Zweck des Sta-keholdermanagements ist es, die Betroffenen zu Beteiligten zu machen und somit die negativen Einflüsse zu minimieren, aber auch im Sinne des Projekt-Marketings mittels eines Kommunikationsplans positive Einflüsse zu verstärken im Sinne von: „Tue Gutes und sprich darüber.“ In der gesamten Projektlaufzeit wird eine Identifikation, Steuerung, Analyse und Überwachung der Stakeholder durchgeführt. „Das Stakeholdermanagement ist die aktive und proaktive Betreuung der Projektbeteiligten, insbesondere der einflussnehmenden Ent-scheider: innen. Wenn Entscheidungen zu treffen sind, vor allem bei Änderungen des Projek-tauftrags, bereitet das Stakeholdermanagement die hierfür erforderlichen Informationen auf und begleitet die Entscheidungsfindung“ (Dr. Georg Angermeier: abgerufen am 10.04.2023: https://www.projektmagazin.de/glossarterm/stakeholdermanagement).
Der Projektmanager vertritt sein Projekt stark in der eigenen Organisation und bei Bedarf nach außen; somit nimmt er die beschriebenen Rollen nach Mintzberg einer Figurehead (Galionsfigur) wahr. Im Weiteren muss der Projektmanager im Kontext des Stakeholdermanagements, um das Projekt zum Erfolg zu führen, ein starker Liaison (Vernetzer) sein. Er ist gefor-dert, interne und externe Kontakte aufzubauen und Brücken für eine reibungslose Zusam-menarbeit zwischen verschiedenen Organisationseinheiten zu bauen. Es ist eine starke Kongruenz zu der Rolle Liaison (Vernetzer) zu identifizieren.

4. Zusammenfassung

Im Fazit und Resümee kann Folgendes festgehalten werden. Die zu Anfang gestellte Frage „Wie lassen sich Tätigkeiten aus meiner persönlichen beruflichen Funktion als ICT-Projektma-nager und Rollentätigkeiten aus diesem Berufsumfeld in die beschriebenen Managementrol-len nach Mintzberg einordnen? “ kann wie folgt beantwortet werden und ist in der folgenden Tabelle 2 (-> Kongruenz: Projektmanager vs. Mintzberg) beschrieben.

Tabelle 2: Kongruenz: Projektmanager vs. Mintzberg

In den Tätigkeiten des Führens des Projekts zur Erreichung der Projektergebnisse und der Vorgehensziele (Zeit, Kosten, Qualität) des Projekts kann Kongruenz zu Leader (Vorgesetzter) und Problemlöser identifiziert werden. In der Tätigkeit des wirtschaftlichen und nachhaltigen Einsatzes der Ressourcen kann Kongruenz in den Rollen Ressource Allocator (Ressourcenzuteiler) und Verhandlungsführer ausgemacht werden.
Bei der Tätigkeit Führen des Berichtswesens und umfassende, regelmäßige und situative Information der Projektsteuerung, damit sie ihre Steuerungs- und Entscheidungsaufgaben wahrnehmen kann, wird tendenziell Kongruenz in den Rollen Spokesperson (Sprecher) und Disseminitor (Sender) identifiziert.
Bei dem Vergleich der Tätigkeiten Führen des Stakeholdermanagements und Sicherstellen des Einbezugs der berechtigten Anspruchsgruppen vs. Figurehead (Galionsfigur) und Liaison (Vernetzer) wird eine gewisse Deckungsgleichheit festgestellt. Es ist zu beachten, dass ein Projekt immer ein einmaliges, einzigartiges Vorhaben ist und sich die anteiligen Tenden-zen der Kongruenzen demzufolge stark unterscheiden können.

5. Literaturverzeichnis

  • Friedmann, G. (1936). La crise du progrès. Esquisse d’histoire des idées 1895–1935. Paris: Gallimard.
  • Huggett, F. E. (1974). A Dictionary of British History: 1815–1973. Oxford: Blackwell.
  • Mintzberg, H. (2009). Managen. Offenbach: GABAL Verlag GmbH.
  • Taylor, F. W. (1911). The principles of scientific management. Mineola: Dover Publications Inc.
  • Taylor, F. W. & Roesler, R. (1913). Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung. München/Berlin: Verlag von R Oldenbourg.
  • Harpercollins College Div.
  • Rademacher, U. (2014). Leichter führen und besser entscheiden: Psychologie für Manager (Lehrbuch, 1. Auflage). Wiesbaden: Springer Gabler.
  • Schreyögg, G. & Koch, J. (2014). Grundlagen des Managements (Lehrbuch, 3. Auflage). Wies-baden: Springer Gabler.
  • Wiswede, G. (1995). Einführung in die Wirtschaftspsychologie (Lehrbuch, 5. Auflage). Basel: Reinhardt Verlag.
  • HERMES: Zugriff am 10.04.2023. Verfügbar unter: https://www.hermes.admin.ch/de/projektmanagement/verstehen/rollen/projektlei-ter.html